Hellseherkorporal und andere Geschichten aus der Fremdenlegion by Friedrich Glauser

Hellseherkorporal und andere Geschichten aus der Fremdenlegion by Friedrich Glauser

Autor:Friedrich Glauser [Glauserm, Friedrich]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: FICTION / Literary, FICTION / Short Stories (single author)
ISBN: 9783857919619
Herausgeber: Limmat Verlag
veröffentlicht: 2015-09-18T16:00:00+00:00


Der kleine Schneider

Eine Erzählung aus der Fremdenlegion

Der Adjutant Cattaneo trat aus seinem Zelt und führte zwei Finger zum Mund. Der Pfiff gellte durch den kalten Morgen, stieß an rote Berge, prallte ab an der weißen Mauer des Postens, dort oben, auf nahem Hügel. Kaum, dass der Pfiff verhallt war, begann der Adjutant zu fluchen, in italienischer, französischer und arabischer Sprache durcheinander. In den kleinen braunen Zelten, die um sein eigenes großes aufgestellt waren, im Viereck, hörte er Rascheln und Gähnen. Verschlafene Stimmen riefen: «Auf!», höhnisch und gereizt. Da die Zelte sich nicht rasch genug leerten, riss der Adjutant einige Zeltpflöcke aus dem Boden. Unterdrücktes Gemurmel drang unter den Tüchern hervor. Der Adjutant teilte einige Fußtritte aus und ging schließlich zur Küche, um Kaffee zu trinken. Sein rotes Képi stach leuchtend ab vom gelben Khakianzug, der sich eng an seine groben Glieder schmiegte. Ein borstiger Schnurrbart bedeckte den Mund.

«Bonjour, mon adjudant», sagte der alte Kainz, ein Wiener, der es stets verstand, die besten Druckposten zu besetzen, und lächelte mit zahnlosem Mund.

«Gut, gut», der Adjutant winkte mit der Hand gnädig ab, hielt die Metalltasse hin, ließ sie halb füllen, stellte sie auf einen Stein, zog eine kleine Feldflasche aus der Hosentasche und goss Rum in den Kaffee.

«Mezzo e mezzo», sagte er dabei, denn er war Italiener.

Im bläulich-weißen Morgenlicht lag das Zeltlager vor ihm, in welchem die dritte Sektion der Compagnie Montée vom dritten Fremdenregiment kantoniert war, abkommandiert zum Kalkbrennen. Er aber fühlte sich als kleiner Alleinherrscher über die vierzig Mann und war stolz auf die Macht, die er uneingeschränkt besaß.

Die Maulesel zerrten klirrend an den Ketten, mit denen sie an ein dickes, eisernes Tau angebunden waren, und schrien, denn sie kannten die Futterstunde.

Im Posten, der auf dem nächsten Hügel lag, waren Gums einquartiert, marokkanische Kavallerie; graue Gestalten in weiten Kapuzenmänteln putzten wiehernde Pferde an der Umfassungsmauer. Hinter dieser sang eine Frauenstimme ein eintöniges Lied.

Der Adjutant beklopfte seine Schenkel, ruderte mit den Armen in der Luft.

«Wird’s bald?» krächzte er heiser und sah höhnisch den Ankommenden entgegen, die sich scheu an ihm vorbeidrückten.

Der Sergeant Schützendorff schlenkerte heran, Hosen, Rock und Stiefel geöffnet, kratzte mit schwarzen Fingern an einem gelben Punkt, der seltsam grell auf seiner roten Nase glänzte. Der Adjutant schrie ihn an: «Können Sie sich nicht anziehen?» Schützendorff grinste nur und zog mit einem Ruck die Hosen höher.

Nach ihm kam Korporal Dunoyer, zwanzig Jahre Dienstzeit, davon fünf Jahre gut, der Rest in Arbeitsbataillonen in Tunis und Nordmarokko. Über die Halshaut zogen sich, blau tätowiert, die Worte «Immer durstig», wogten auf und ab bei jeder Bewegung des länglichen Adamsapfels. «Ein Märtyrer der Freundschaft», war im Halbbogen auf der Stirne zu lesen. Zwei Schlangen ringelten sich rot von den Schläfen herab, waagrecht über die Wangen; die platten Köpfe öffneten die Mäuler auf den Nasenflügeln. Auf die Lider waren zwei offene Augen punktiert, glanzlos starrten sie in die Ferne, wenn Dunoyer die Lider senkte. Auch unter den spärlichen grauen Haaren des Schnurrbarts schimmerte es bläulich. Als er die Hand grüßend an den Mützenschirm legte, zeigte sich auf der Fläche in großen Buchstaben das Wort «Merde».



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